10 Jahre Fotojournalismus an der Hochschule Hannover
Im März 2011 feierte der Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie den zehnten Jahrestag seiner Ausrichtung auf die publizistische Fotografie. Aus Anlass des Jubiläums sprach Chefredakteur Dr. Stefan Hartmann für die Zeitschrift Pictorial mit Prof. Lars Bauernschmitt über die Ausbildung im Studiengang Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover.
Hartmann: Was lernen Studenten, die sich für ein Studium des Fotojournalismus und der Dokumentarfotografie an der Fachhochschule Hannover entscheiden?
Bauernschmitt: Die Studierenden lernen, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, zu den Geschehen Stellung zu nehmen und in ihren Fotos eine persönliche Haltung zum Dargestellten deutlich zu machen. Der Lehrplan umfasst deshalb sowohl theoretische als auch praktische Fächer, die die angehenden Fotojournalisten in die Lage versetzen, Erlebtes zu reflektieren und in persönliche Bildsprachen zu übersetzen. Die Inhalte des ersten Studienabschnitts dienen u.a. auch dazu, die Studierenden auf die im fünften Semester vorgesehenen Praktika vorzubereiten. Im Verlauf des zweiten Studienabschnitts erfolgt die Entwicklung persönlicher inhaltlicher und bildsprachlicher Schwerpunkte.
Hartmann: Sie legen großen Wert auf die praktische Ausrichtung ihrer Ausbildung. Wodurch erreichen sie die?
Bauernschmitt: Ziel unserer Ausbildung ist die Vorbereitung auf die berufliche Situation die dem Berufsanfänger keine Zeit mehr lässt, den Job erst im Job zu erlernen. Zentrales Element unserer Ausbildung ist deshalb das Zusammenwirken von theoretischen Seminaren, praktischen Übungen, Praktika und die Abwicklung konkreter Aufträge. Fester Bestandteil des Studiums ist ein 19-wöchiges Pflichtpraktikum, das in der Regel im fünften Semester absolviert wird. Praktikums-Partnerschaften bestehen mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), der Neuen Presse (Hannover) sowie dem Weser Kurier in Bremen. Im Rahmen dieser sechsmonatigen Praktika sind immer zwei Studierende gleichzeitig in den jeweiligen Redaktionen als Fotografen tätig und fest in die tägliche Produktion eingebunden. Darüber hinaus absolvierten unsere Studenten Praktika u.a. bei der Berliner Zeitung, Brigitte, Geo, Stern und der Zeit. Zum Erproben konkreter Auftragssituationen werden regelmäßig Projekte mit externen Auftraggebern realisiert. Diese werden in Ausstellungen gezeigt und in Zeitungen und Zeitschriften sowie Bildbänden veröffentlicht. Im Rahmen solcher Projekte fotografierten wir unter anderem im Auftrag der Niedersächsischen Sparkassenstiftung für die Niedersächsischen Musiktage oder die Zeitschrift Brigitte. Die Ergebnisse des Projekts „Grün ist es im Licht“ wurden im Sommer 2009 in der Kubus Galerie in Hannover gezeigt und die fotografischen Arbeiten zum Thema „Schein und Sein“ in elf Museumsausstellungen in ganz Ostfriesland im Sommer 2010. Im April diesen Jahres lief die bundesweit beachtete Ausstellung „Hellfeld“ in der zwölf Reportagen unserer Studierenden über die Arbeit der Polizei Hannover präsentiert wurden, zu der auch ein Katalog erschienen ist. Dazu kommen bisher drei komplette Ausgaben der Zeitschrift MARE, für die inzwischen 18 Studentinnen und Studenten auf der ganzen Welt fotografiert haben. Im Moment fotografiert eine Gruppe Studierender ebenfalls weltweit für die Volkswagenstiftung.
Hartmann: Wie gliedert sich das Studium?
Bauernschmitt: Im Verlauf von acht Semestern Regelstudienzeit erlernen die Studierenden, neben den handwerklichen Grundlagen der Fotografie, den Fotojournalismus als Reportage oder Einzelbild, sowie die Dokumentarfotografie und die künstlerische Fotografie. Während am Beginn der Ausbildung die Vermittlung allgemein gestalterischer und fotografischer Grundlagen erfolgt, findet im Verlauf des Studiums eine Vertiefung der Inhalte statt. In den Seminaren zur Kurzzeitreportage und der Langzeitreportage lernen die Studierenden in den ersten beiden Semestern zunächst die Erzählform der Reportage kennen. Neben fotografischen Fragen werden hier zum ersten Mal auch Fragen journalistischer Arbeitsweisen wie der Recherche und der Faktensicherung erklärt. Als Ergänzung erfolgt in den Seminaren zur Bildsprache, zur künstlerischen Fotografie und der Dokumentarfotografie die Auseinandersetzung mit weiteren fotografischen Erzählweisen. In den Seminaren zur Portraitfotografie, zur Arbeit mit künstlichen Lichtquellen und der Studiopraxis sollen die Studierenden in die Lage versetzt werden, auch fotografische Inszenierungen zu entwickeln. Zur Vorbereitung auf die berufliche Praxis vermitteln die Seminare zur redaktionellen Fotografie, zum Marketing und zum Fotorecht die Inhalte, die heute für die tägliche Praxis eines „Fotografen als Unternehmer“, so auch der Titel des gleichnamigen zweiteiligen Seminars, unerlässlich sind.
In den Seminaren zur Auslandsreportage, zur Reisefotografie und den Seminaren zur PR-Fotografie lernen die Absolventen wichtige Felder kennen, in denen Fotojournalisten heute tätig sind. Ergänzt werden die praktisch-fotografischen Fächer durch Angebote zur Kunstgeschichte im Allgemeinen und zur Fotogeschichte im Besonderen, sowie durch Unterrichtseinheiten zur Medienethik. In den Seminaren zum Fotobuch und zur Online-Reportage wird als Vorbereitung auf die Abschlussarbeit jeweils ein selbst gewähltes Thema innerhalb eines Semesters in einer darauf abgestimmten Bildsprache fotografiert und als Print- und Online-Publikation präsentiert.
Hartmann: Sie bauen den Studiengang weiter aus, während sich die Publikationsbedingungen für journalistische Fotografie in den Zeitungen und Zeitschriften seit Jahrzehnten verschlechtern. Haben ihre Absolventen überhaupt eine Chance später von der Fotografie zu leben?
Bauernschmitt: Der Markt spaltet sich. Auf der einen Seite erleben wir, wie immer mehr journalistische Medien die erzählerische Fotografie durch illustrative Symboloptik ersetzen und statt auf die Kraft des erzählerischen Fotos zu setzen, Foto-Placebos drucken, die mit Journalismus nichts zu tun haben. Gleichzeitig äußert sich in den gezahlten Honoraren eine Missachtung für die Arbeit von Fotojournalisten die bedenklich ist. Wenn ein Auftraggeber einem Fotografen 200,- € Tagessatz oder weniger zahlt dann darf er sich nicht wundern, wenn sich die Fotografen von ihm abwenden. Auf der anderen Seite erkennen immer mehr Zeitungen und Zeitschriften inzwischen welche Bedeutung gute Fotografie für die Glaubwürdigkeit ihres Qualitätsversprechens hat und setzen deshalb wieder auf die Stärken des stillen Bildes. Natürlich bilden wir unsere Studierenden nicht aus in dem Glauben, dass sie hinterher ausschließlich für Stern oder Geo arbeiten. Neben den journalistischen Publikationen sollen unsere Absolventen in der Lage sein, nach Ende ihrer Ausbildung auch für die Haus-, Firmen und Kundenzeitschriften von Unternehmen und Verbänden zu arbeiten, also Public Relations zu fotografieren. Hier werden Fotografinnen und Fotografen gesucht, die journalistisch denken um die Anliegen der Auftraggeber glaubwürdig zu transportieren. Wir bilden unsere Studierenden damit für einen Bereich aus, der ständig wächst und es den Absolventen erlaubt, nach der Ausbildung auch tatsächlich von ihrer Fotografie zu leben. Wir bilden jedenfalls keine knipsenden Taxifahrer aus. Mich wundert, dass die Frage nach der finanziellen Zukunft immer nur uns Fotojournalisten gestellt wird, während Ausbildungsgänge, die sich der künstlerischen Fotografie zuwenden, sich solche Fragen nie stellen lassen müssen, obwohl man dort nun wirklich kaum Möglichkeiten findet, mit dem Erlernten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Hartmann: Wie schätzen Sie die aktuellen medialen Entwicklungen ein?
Bauernschmitt: Wir stecken mitten im Strukturwandel der Medien. In ganz unterschiedlichen Teilbereichen kommt es zu gravierenden Veränderungen, die Auswirkungen haben auf alle anderen Bereiche. Während die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften sinken, kommen in Deutschland pro Jahr ungefähr 120 neue Publikationen neu auf den Markt. Da die Zahl der Einstellungen deutlich geringer ist gibt es also von Jahr zu Jahr mehr Blätter. Die Zahl der potentiellen Auftraggeber steigt also. Gleichzeitig stellen sich diese Publikationen multimedial auf und versuchen, sich als Medienmarken zu etablieren. Die Bedeutung des Fotojournalismus in allen Medien wächst ständig. Aber es gibt insgesamt noch immer ein viel zu geringes Bewusstsein für seine Bedeutung. Dem Fotojournalismus als Teil der vierten Gewalt kommt gerade in unserer Zeit eine besondere Bedeutung zu. Medienkompetenz ist eine der Kernkompetenzen der Mediengesellschaft. Ohne das Wissen um die Funktion der Medien und die Kenntnisse der Publikationsbedingungen ist eine aktive Teilhabe am heutigen gesellschaftlichen Leben nicht möglich. So gesehen hat die Ausbildung im Fotojournalismus eine größere Bedeutung als jemals zuvor.
Hartmann: Was bedeutet das für die Fotografen?
Bauernschmitt: Fotografinnen und Fotografen müssen heute auf sehr viel mehr Feldern aktiv sein als noch vor zwanzig Jahren. Während es damals genügte redaktionell als Fotograf tätig zu sein, müssen Fotografen inzwischen in der Lage sein, unterschiedliche Medien zu bedienen. Sie müssen heute Fotos online präsentieren können, sei es als Slide Show oder in Kombination mit Bewegtbildern. Fotografen müssen dazu auch brauchbare Ton-Aufnahmen machen können und Bewegtbilder herstellen können. Sie müssen zu ihren Geschichten Texte verfassen und Interviews führen können. Zwar fehlen im Moment noch Lizensierungsmodelle, die es den Autoren erlauben, von diesen Honoraren zu leben doch zahlen etablierte Verlage inzwischen so geringe Beträge, das sie ungewollt zum wichtigsten Motor der Entwicklung neuer Publikations- und Abrechnungsmodelle werden die in Kürze etabliert sein werden.
Hartmann: Und Ihre Studenten lernen im Rahmen ihrer Ausbildung auf diese Veränderungen zu reagieren?
Bauernschmitt: Ja. Im Zuge der Akkreditierung des Studiengangs Fotojournalismus und Dokumentarfotografie haben mein Kollege Rolf Nobel und ich den Lehrplan neu geschrieben und den veränderten Publikationsbedingungen angepasst. Unsere Studenten erlernen neben der Reportage-Fotografie auch Print- und Online-Layout, journalistisches Schreiben, Grundlagen des filmischen Erzählens und Online-Publizieren. Wir vermitteln unseren Studierenden journalistisches Denken und die Fähigkeit, ihre Geschichten in unterschiedlichen Medien zu publizieren. Eine Gruppe Studierender hat bereits während des Studiums eine eigene Firma gegründet. Anna Jockisch, Shooresh Fezoni, Michael Hauri und Daniel Nauck arbeiten als 2470media erfolgreich für Unternehmen und Verbände. Zu ihren Auftraggebern für Multimediaproduktionen zählen unter anderem der Deutsche Fußballbund (DFB), die Care-for-Rare Foundation, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Biomarkt-Kette Alnatura, das Reporter-Forum e.V. sowie die tageszeitung (taz). Im Dezember gewannen sie zusammen mit Felix Seuffert den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie „Beste Web-Reportage“. Die von Michael Hauri produzierte Serie „Und dann wurde ich Muslim“ steht aktuell auf der Shortlist für den Axel-Springer-Preis 2011.
Hartmann: Das sind aber nicht die einzigen Erfolge ihrer Studenten.
Bauernschmitt: Unsere Studierenden gewinnen im Durchschnitt alle vierzehn Tage einen Preis oder eine Auszeichnung. Seit vielen Jahren finden sich unsere Studierenden immer wieder auf vorderen Plätzen bei nationalen und internationalen Foto-Wettbewerben. So wurde Jan Lieske im Mai 2010 für seinen Essay »We are Suffering Here – Dead End Rosarno« über die unmenschlichen Lebensbedingungen afrikanischer Erntehelfer im süditalienischen Rosarno mit dem international renommierten »Mark-Grosset-Preis« ausgezeichnet. Dies ist umso bemerkenswerter als sich damit zum dritten Mal ein Student des Studiengangs Fotojournalismus und Dokumentarfotografie bei diesem internationalen Einladungswettbewerb gegen die weltweite Konkurrenz durchsetzen konnte. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass die Studierenden nicht nur bei Wettbewerben zur klassischen Reportagefotografie erfolgreich sind, sondern darüber hinaus auch bei Wettbewerben auf vorderen Plätzen stehen, die sich der Wissenschafts- oder Modefotografie widmen. Eine besondere Form der Förderung stellt der 2008 neu konzipierte VGH Fotopreis dar. Er richtet sich in Form eines bundesweit einmaligen Kultursponsorings ausschließlich an junge Fotojournalisten der Fachhochschule Hannover. Im Rahmen dieser besonderen Kooperation haben die Teilnehmer die Möglichkeit neben 10.000 Euro auch die Produktion eines Kataloges zu einer eigenen Ausstellung zu gewinnen.
Hartmann: Bleibt zum Schluss nur noch zu fragen, was sie als nächstes planen?
Bauernschmitt: Auf Grund der ständig wachsenden Bewerberzahlen werden wir statt 28 in Zukunft jedes Jahr 44 Studenten aufnehmen und als Konsequenz daraus neben zwei neuen Professuren noch eine weitere Fachlehrerstelle schaffen. Darüber hinaus planen wir eine internationale Klasse, in der wir mit einem englischsprachigen Lehrangebot auf die vielen Anfragen aus dem Ausland reagieren wollen. Und dann steht das 3. LUMIX-Festival für jungen Fotojournalismus an. Auch wenn es erst im Juni 2012 stattfinden wird, laufen die Vorbereitungen bereits jetzt auf Hochtouren.
Weitere Informationen unter http://www.fotostudenten.de