Laudatio für Andrea Diefenbach
Für ihre Reportage „Land ohne Eltern“ erhielt Andrea Diefenbach den n-ost-Reportagepreis 2012 in der Kategorie Fotoreportage. Die Laudatio würdigt ihre Arbeit, schildert die Entstehung der Geschichte und beschreibt kritisch die aktuellen Publikationsbedingungen im Fotojournalismus.
Drei Fotostrecken, lagen nach einer Stunde noch auf dem Tisch im Konferenzsaal der BMW-Stiftung Herbert Quandt. Aus 23 eingereichten Arbeiten wählte die Jury „Land ohne Eltern“ von Andrea Diefenbach, „Die sibirische Schönheit“, von Anastasia Taylor-Lind, und Ron Hornstras „Palast der Proletarier“, als nominierte Geschichten für den n-ost Reportagepreis 2012 in der Kategorie Foto.
Gewonnen hat: Andrea Diefenbach.
Ihre Fotoreportage „Land ohne Eltern“ schildert die Folgen der Arbeitsmigration innerhalb Europas. Ebenso unprätentiös wie einfühlsam beschreibt Andrea Diefenbach die Schicksale von Kindern in Moldawien, die ohne ihre Eltern aufwachsen müssen, weil diese das Land verlassen haben um woanders ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Andrea Diefenbach zeigt den Alltag von Kindern, die sich an Stelle von Mutter oder Vater um ihre Geschwister kümmern müssen. Sie zeigt Kinder, die ihrer Kindheit beraubt werden, weil ihre Eltern versuchen der Armut im eigenen Land zu entkommen. Es ist eine dramatische Situation, die Andrea Diefenbach dem Betrachter eindringlich und ohne falsches Pathos vor Augen führt. Ihre Bildsprache zeigt Sympathie und Respekt für die Menschen die sie portraitiert. Ihre Reportage heroisiert nicht, sie verniedlicht aber auch nicht. Andrea Diefenbach 1974 in Wiesbaden geboren, studierte in Bielefeld Fotografie. Sie ist die Vertreterin einer neuen Generation von Fotografinnen und Fotografen, die sich als Bild-Autoren verstehen und die Umsetzung ihrer Themen und Geschichten in die eigene Hand nehmen, statt darauf zu warten, das ihr Expose die Redaktionshierachien durchwandert.
Andrea Diefenbach fotografierte „Land ohne Eltern“ zunächst auf eigenes Risiko, bevor sie den Auftrag einer Zeitschrift erhielt, der ihr eine weitere Reise nach Moldawien ermöglichte. Die Fotografin übernahm das finanzielle Risiko, bevor ein Verlag sich beteiligte. Ich erwähne es, obwohl es inzwischen normal ist, weil es nicht normal sein sollte. Es ist ein inzwischen völlig übliches Verfahren. Beauftragt wird nur noch was planbar ist. Investiert wird nur in das, was im Voraus berechenbar ist. Fotojournalismus wird immer mehr zum privaten Investment der Fotojournalisten.
Andrea Diefenbach hat ihre Geschichte trotzdem gemacht. Während journalistische Arbeit von vielen Verlags-Verantwortlichen nur noch als Kostenfaktor gesehen wird, den es einzusparen gilt, wächst beim Leser der Wunsch nach Qualität und nach in die Tiefe gehender Information. Gerade die journalistische Fotografie spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die Publikationsbedingungen in Zeitungen und Zeitschriften geben den gezahlten Honoraren den Charakter von Schmerzensgeldern. Der Umgang mit den Bildern ist zum Teil indiskutabel. Die Jurysitzung der Kategorie Foto dauerte länger als die Gespräche der anderen Jurys. Dies nicht etwa weil die Entscheidung strittig war, vielmehr war es so, dass die Jury zum Teil um Fassung rang, beim Blick auf die eingereichten Arbeiten – nicht wegen der Fotos, sondern mit Blick auf das, was die Gestalter mit den Fotos gemacht hatten. Es waren zum Teil durchaus renommierte Blätter in denen Fotografinnen und Fotografen die eingereichten Bildstrecken veröffentlicht hatten. Was im Layout aus den Geschichten gemacht wurde, erfüllte jedoch oft den Tatbestand der Beleidigung. Beleidigung der Fotografinnen und Fotografen. Beschnitten bis zur Unkenntlichkeit standen Bildfragmente in Bleiwüsten. Auserzählte Geschichten wurden bis zur Unverständlichkeit zusammengekürzt. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie ein schreibender Journalist reagieren würde, wenn ein Grafiker seinen Text beherzt zusammenstreichen würde, damit bestimmte Buchstaben als Initiale aus gestalterischen Gründen am Seitenanfang erscheinen. Auch deshalb suchen Fotojournalisten immer öfter nach Wegen, Projekte in eigener Regie zu veröffentlichen. Land ohne Eltern erscheint im Herbst als Buch. Die Fotoreportage wird umfangreicher als in der Zeitschrift, gedruckt als Hardcover erscheinen. Es ist ein Weg, den viele Fotografen wählen, wenn es darum geht, eigene Projekte angemessen zu präsentieren.
Immer mehr verschwinden im Fotojournalismus die Grenzen zwischen den Medien. Fotoreportagen werden gezeigt in Büchern und Zeitschriften, im Internet oder in Museen. Die Fotografen nutzen diese Wege, die eigene Position zu zeigen. Andrea Diefenbach macht in ihren Fotos ihre Haltung zum eigenen Thema deutlich – authentisch und subjektiv. Mit dieser Grundidee erfüllt sie ein wichtiges Bedürfnis vieler Menschen. Denn die Diskrepanz zwischen inszenierter Idealisierung in vielen Medien und dem tatsächlichen Erleben des eigenen Alltags lässt den Wunsch nach Authentizität bei vielen Menschen immer stärker werden. Hierin liegt auch die große Chance des Fotojournalismus heute. Das wachsende Interesse am Fotojournalismus beweisen nicht zuletzt entsprechende Ausstellungen wie sie hier in Berlin zum Beispiel vom c/o Berlin gezeigt werden oder Fotofestivals wie das Lumix-Festival für jungen Fotojournalismus, das gerade in Hannover stattfindet.
Andrea Diefenbachs Geschichte ist ein Statement. Nicht nur für die Kinder in Moldawien sondern auch für den Fotojournalismus.
Herzlichen Dank Andrea Diefenbach.
Weitere Informationen: http://www.n-ost.org/reportagepreis